Die Bestrafung & Mein Geliebter
Klappentext: Bevor Sie mir jedoch irgendwelche Vorwürfe machen, hören Sie, was ich getan habe, um meine und die Ehre aller Frauen zu verteidigen: Während der Mann etwas von „anthropologisch“ und „schon immer“, von der Helena des Menelaos, Kriege um Frauen bei den Orinokoindianern und den Brautraub der Süditaliener erzählte, erspähte ich, obwohl ich den Blick weiter gesenkt hielt, auf der Anrichte ein ebenso großes Messer wie das, das neben dem Brot lag. Ich versuchte abzuschätzen, wie groß meine Chance war, es trotz meiner Fesselung zu erreichen, ich musste, wurde mir klar, aufspringen, mich nach vorne fallen lassen und dann den Stuhl mit den Beinen nachziehen. Jetzt hatte ich nur noch den günstigsten Augenblick abzuwarten, dazu aber war ich gezwungen, genauer auf das Gerede des Mannes zu achten. Er erzählte gerade, er wisse selber, dass er sich mit meiner Entführung vielleicht alles versaut hätte, was er zu ereichen hoffe, aber da diese Art der Liebesanbahnung so ungewöhnlich und unmenschlich nun wiederum auch nicht sei, hoffe er doch auf eine Chance; es sei eben seine letzte, und er wolle nichts unversucht gelassen haben, denn er liebe mich. Das müsse mir doch klar sein oder doch werden können, ich solle nur einmal, sozusagen probehalber, die Dinge von dieser Seite her sehen. So ging das wort- und geistreichelnd weiter und ich fand, obwohl er anfing, sich an seinen eigenen Reden zu besaufen, keine Zäsur, in der ich seiner Aufmerksamkeit hätte entgehen können.
Dann hatte ich eine Idee.
"Dann stell dir vor, du führtest Tagebuch!“, drängt mein Geliebter weiter. Aber da schreib ich doch nicht über Geschehnisse, die in Worten nur schlapp oder gestelzt daher kommen können. „Liebes Tagebuch, gestern hab ich mich an den Füßen aufhängen und durchpeitschen lassen.“ Wie hört sich das denn an! Oder: „Liebes Tagebuch, nur dir vertraue ich an, wie geil ich gestern darauf war, sein Gemächte zu lutschen.“ Nein, das gehört nicht ins Tagebuch. Auch gibt man sein Tagebuch keinem Fremden zu lesen.
„Telefongespräche!“ Das geht, da hat er Recht. Ihm liegt Telefonieren nicht, Telefonsex schon gar nicht. Aber manchmal bringe ich ihn dazu. Mit Worten? Doch, auch mit Worten. Ich beschreibe meinem Geliebten Bilder und höre darauf, wie sein Atem sich verändert. Sein Atem wird jetzt nicht mehr in Worten laut, er ist seine nackte Stimme, der entblößte Unterton seiner Stimme. Ich male ihm aus, wie er vor mir kniet und gepeitscht wird. Ich erkläre ihm, wie es sich anfühlt, wenn ich an meinen Brustwarzen drehe, bis ein Stechen durch den ganzen Körper zieht, und dass er es ist, der sie verdreht. Dass er meine Brust an der Warze hoch zieht und die Peitsche mit der breiten Lasche darauf klatschen lässt. Solche Sachen eben.
Am Telefon weiß man nie, wer mithört. Lieber ist mir dann, statt eines Spanners, ein großes Publikum. Die Texte wären wie die Spiegel und das Publikum mein Theater, ein Chor von Blicken. Alle würden mich haben wollen, ich wäre die Prinzessin, und alle bekämen nur meine Wiederspiegelungen und mein Geliebter mich.